Das Datscha-Idyll und die Bedrohung

Neben Anatols Datscha haben sich wilde Hamster angesiedelt, zwei sollen es sein, die ausserhalb des Zaunes ihr Bautensystem gegraben haben. Ich entdeckte auf dem warmen Steinboden eine smaragdgrüne Eidechse, ein Feldhase hoppelt über die Grundstücke. Das wäre jetzt ein gutes Schaschlick, dieses Viech. Anatol erfreut sich an den Vögeln, ich glaube es sind Stare, die am Kirschenbaum ein Festmahl haben, er erzählt wie sie in Pfeilformation über den Himmel ziehen, nur bei der Elster muss man aufpassen, denn sie ist wirklich diebisch. Nichts darf man liegenlassen, sonst ist es weg. Auch streunende Hunde können schnell eine Unachtsamkeit benutzen, um sich zu am vorbereitenden, aber ungesicherten Speisen zu laben. In der Ferne explodiert eine Mörsergranate.

Blumen und Kognak

Ich bin in ein Restaurant gegangen, das voll beleuchtet war, wo zwei Kellnerinnen rumstanden die mich anschauten, als wäre ich ein Affe. Ich musste verschämt fragen, ob das Restaurant arbeite („roboti?“) um dann ein hingerotztes njet zu kriegen. Normalerweise sind die Russen Meister im langwierigen Umschreiben von einfachen Zuständen, aber hier hieß njet: „Wie kann man nur so dämlich sein und glauben, dass nur weil das Restaurant offen ist, es auch offen ist.“ Apropos Restaurant. Es gibt hier keine Trinkgeldkultur. Das bedeutet, die Kellnerinnen haben relativ wenig Motivation, Gäste zu bedienen. 7-Tage-Regenwetter-Gesicht ist ganz normal. Auf Devotschka (Fräulein) nicht zu hören auch. Wenn man alleine am Tisch sitzt und Kaffee bestellt, fragen sie: wie viele? Die Putzfrauen schubsen einen beiseite, weil sie aufwischen müssen und wenn man das Besteck niedergelegt hat, dauert es 30 Sekunden bis man aufgefordert wird, die Rechnung zu begleichen. Kein Scheiß. Zuerst dachte ich, diese Betreuung gäbe es spezial für Ausländer, aber meine eingeborenen Freunde werden genauso behandelt. (Und ärgern sich auch darüber).

Wet Wet Wet

4Mein Aufenthalt ist wahrlich kein Entspannungsurlaub. Es soll dies der letzte Besuch vor dem Buch sein. So ist es mir zugefallen, zu versuchen, alle offenen Themen abzuarbeiten. (Ich schreibe schon ungefähr so gestelzt, wie Pridnestrowier reden). Die Aufgaben-Liste besteht aus 12 Dingen. Gesprächen, Portraits, Reportagen. Tja, Kramar hat mir eine Menge Arbeit übrig gelassen. Hatte ich bei der ersten Reise noch gefragt, was ich hier tun könne, so habe ich jetzt die Antwort darauf. Ich hatte Andrey diese Liste vorab geschickt, damit er schon vor meiner Ankunft Termine organisieren würde. Pridnestrowien ist nicht Afrika, dennoch ticken die Uhren hier anders.
Obwohl Andrey sich sehr gut entwickelt, muss ich dennoch jeden Tag mit ihm die Liste durchgehen, damit er Anrufe tätigt und recherchiert. Bei Dingen, die ihm unangenehm sind, wird er vage und ausweichend. Ich will beispielsweise die Störzucht in Rybnitsa (4 Autostunden entfernt) sehen. Er hat keine Kontakte dort. Er sagt, wir könnten einfach hinfahren und sehen was passiert. Ich sage, ruf doch diesen oder jenen Kontakt an und frag. Er sagt, das könne man tun. Dann braucht es einige Tage, bis halbherzig verkündigt, dass er nichts herausgefunden hat. Vermutlich werden wir auf gut Glück dorthin fahren.
Für jeden Schritt vorwärts geht es auch wieder einen Schritt zurück. Apropos Schlechtwetter. Andreys Wohnung ist im letzten Stock und die Decke ist leicht undicht. Vorgestern Nacht regnete es. Wir standen mitten in der Nacht auf und stellten Töpfe unter den tropfenden Bereichen der Decke. Soweit so gut. Gestern ging ein Sturm, es regnete und schneite wie irre, binnen kürzester Zeit stand ganz Tiraspol unter Wasser. Als ich Abends heimkam war niemand in der Wohnung. Andreys Bruder und sein Vater waren nicht da. Dafür liefen in zwei Zimmern und der Küche die Eimer über, die Teppiche waren pitschnass, dass Wasser tropfte nicht mehr von der Decke, es rann. Auf den Boden, auf die Möbel, auf die Betten. Da teilweise die Lichter nicht funktionieren, leerte ich im Dunkeln mit Taschenlampe Eimer um Eimer, versuchte die Böden zu trocknen und stellte jeden Kochtopf und sogar jedes Häferl zum Auffangen auf, darauf achtend, die Größe des Behälters der Tropfgeschwindigkeit anzupassen. Dann evakuierte ich meine Sachen und Andreys Computer in das einzige trockene Zimmer. Andrey war bei seiner Freundin und telefonisch nicht zu erreichen. Ich schrieb ein SMS, dass seine Wohnung ziemlich nass sei. Gottseidank hörte der Regen in der Nacht auf, in der Früh waren fast alle Töpfe voll, aber nicht übergelaufen. Am Vormittag rief Andrey an und fragte mich, ob mein SMS ein Witz gewesen sei.

Auftritt bei der Brigade

Kolja begleitet mich zum Brigadier ins Büro. Die Deckenverschalung hängt in einer Ecke gut ein halbes Meter herunter. Wir treten mit unseren gatschigen Schuhen auf den Teppich. Es scheint egal zu sein. Auf der Wand hängt ein Poster mit Belarus-Traktoren. Der Brigadier ist ein herzlicher Mann, er fragt mich, wie es mir hier gefällt, ich sage “normal” und er lacht laut und ausgelassen.

ein Führer in der Krise

Abends trafen wir ein transnistrisches Multitalent, Dmitri Soin, der auch im Buch seine Seite hat. Er ist Chefideologe einer Jugendpartei (obwohl selbst schon 39) mit Che Guevara am Revers. Er lehrte auf der Universität Geschichte, hat die erste Yoga-Schule des Landes eröffnet, ist angeblich Geheimdienstmajor und wird von Interpol wegen zweifachen Mordes gesucht. Wir bringen das Buch vorbei und pflegen die guten Kontakte.

Natascha macht “Gerolltes”

Natascha schiebt die Vertuta, das Gerollte in den Ofen und sagt dazu “Sbogam” (“mit Gottes Hilfe”). Natascha hat das schon von ihrer Oma so gelernt. Natascha sagt, Gerichte gelingen immer, wenn man gut gelaunt ist, und den Wunsch hat dass es gelingt. Ausserdem gibt sie immer einen Spritzer Weihwasser dazu, welches am 19. Jänner geweiht wurde. Weihwasser hilft für allerlei Dinge, auch gegen Kopfweh, Unwohlsein, jedes Jahr lässt sie sechs Liter Wasser  weihen.