Fest bei Vovan

6Ich hatte Vovan schon bei meinem ersten Besuch vor anderthalb Jahren kennen gelernt. Ein netter, ruhiger junger Mann, der gutes Deutsch spricht und den Andrey als seinen besten und innigsten Freund bezeichnet. Nach Beendigung seines Deutschstudiums wurde Vovan im Sommer zum Militärdienst eingezogen. Anders als die meisten Pridnestrowier wurde er nicht in die Armee berufen, sondern als Unteroffizier zum Staatssicherheitsdienst MGB, vormals KGB. Jener Geheimdienst, der ganz ungeheim schon im Vorfeld unserer Besuche bei Andrey anrief und fragte, wann denn die Österreicher wieder kämen und was wir hier zu tun gedachten. Zwei Jahre dauert dieser Dienst. Als Offizier des MGB ist es Vovan untersagt, mit Ausländern Kontakt zu pflegen, wüssten seine Vorgesetzte von meiner Anwesenheit in seiner Wohnung, würde er wohl bestraft werden. „Draußen können wir uns nicht treffen“, meinte Vovan, „aber bei mir zu Hause ist es in Ordnung.“
Ich brachte Vodka und Krimsekt mit und wurde von Vovan, seiner Freundin Aliessa, seiner 30jährigen Schwester Jelena, ihrem Gatten Dima und deren achtjährigen Sohn Slawa herzlich begrüßt. Der Fernseher brachte einen alten russichen Novi-God (Neujahrs-)Klassiker, einen Film über einen Mann aus Moskau, der mit seiner zukünftigen Ehefrau Novi God feiern soll, zuvor noch mit seinen Freunden in der Sauna Vodka trinkt, und anschließend in einer fremden Wohnung einer fremden Frau in Leningrad aufwacht. Sichtlich ziemlich lustig. In Vovans Wohnzimmer blinkten bunte Lichter am mageren Christbaum.  Irgendwann am späteren Abend sang Jelena, die zufälligerweise Deutschlehrerin ist, O Tannenbaum an. (Es gibt kein Entkommen). Der Tisch bog sich unter den Speisen, es gab drei verschiedene Majonaise-Salate, Majonaise-Eier, geriebenen Käse mit Butter, Salami, geräuchertes Schweinefleisch, geräuchertes Hühnerfleisch, geräucherter Fisch, scharfe Karotten, noch mehr Käse, Topfenbällchen mit Knoblauch, noch mehr Fisch. Später dann noch eine Hauptspeise, noch später Kuchen und Früchte in Schlagobers. Dazu Sekt, Vodka, Wasser und Kompott zum trinken.
Vovans Schwager Dima und ich waren die einzigen, die sich mit Vodka zuprosteten, nach einer Weile meinte er, dass er stolz auf mich wäre. Ein Kollege hatte mal einen Franzosen zu Gast, der immer nur einen ganz kleinen Schluck auf Höflichkeit trank. Ein Klassiker. In Pridnestrowien ist man erst ein Mann, wenn Vodka trinkt. Vodka und fettes Essen. Fettes Essen und Vodka.

 

Es war ein lustiger Abend, Jelena freute sich über die Gelegenheit, ihr rostiges Deutsch zu verwenden und entschuldigte sich mindestens hundertmal für ihre schlechten Sprachkenntnisse. Gelegentlich vermischte sie die Sprachen und plauderte mit mir in Russisch, worauf alle lachten und noch mehr lachten, wenn ich sie trotzdem verstanden hatte. Nach einem gemeinsamen Spaziergang durch die Stadt und zur Dnester verließ ich die Familie so gegen vier und ging ins Hotel schlafen.
Als ich zu Mittag in Andreys Wohnung zurückkam, völlig übersäuert von Essen und trinken, kam Andreys Vater Nikolai zu mir, stellte Vodka vor mich hin und zwang mich, faschierte Leibchen und Rote-Rüben-Fisch-Majonaise-Salat mit ihm zu essen. Gebt mir bitte einen Kübel.

 

Die übliche Anreise

7Eine der Eigenschaften, die Pridnestrowien zu einem unzugänglichen und geheimnisvollen Land machen ist die Eintrittshürde. Es gibt keinen vorgezeichneten Weg, wie man dieses Land bereist. Und es ist nicht gerade so einfach hierher zu kommen, wie nach Lignano an der Adria. Dank des günstigeren Fluges habe ich mich entschieden, zum ersten Mal über Odessa, Ukraine in Pridnestrowien einzureisen. Der Flug mit Ukraine International Airlines ist schnell und bequem, am Flughafen wartet Dima, unser Taxifahrer, es dauert eine Stunde, bis man an der Grenze steht. Tja. Nur welche Grenze? Der Ort heißt Pervomaysk. Auf der östlichen Seite ist die Ukraine, die Grenzbeamten sind mürrisch, prüfen jedes Auto, die Abfertigung dauert kurz vor Neujahr 40 Minuten. Soweit so einfach. Aber was ist auf der anderen Seite? Offiziell ist das Moldau, aber es gibt keine Moldauische Grenzbeamten und keine Einreiseformalitäten. Inoffiziell aber faktisch ist es Pridnestrowien. Zuerst bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Formelles will erledigt werden.

Dies ist kein Grenzübergang, den westliche Ausländer benutzen. Dementsprechend ratlos sind die Beamten, wollen mich zuerst abweisen, drücken mir aber ob meiner Beharrlichkeit das Einreiseformular in die Hand. Ich bringe die ganze Grenze durcheinander, da ich mir einen Kugelschreiber ausborgen muss und kein Beamter einen übrig hat. Ich fülle das Formular aus, die Beamtin kann meine lateinische Schrift nicht lesen. Dima füllt ein zweites Formular auf kyrillisch aus. Dazwischen anstellen, warten, vordrängeln. Das alles im Freien, am Abend, im Winter. Zu meiner Überraschung lassen sich mich durch, ohne Eintrittsgeld zu verlangen. Wir fahren nach Tiraspol. Es ist seltsam, ich bin offiziell in Pridnestrowien eingereist, befinde mich jedoch genauso offiziell auf moldauischem Territorium, nur dass mein Pass keinen moldauischen Eintrag enthält. Ich bin also illegal in Moldau und legal in der PMR. Ach ja, und die Pridnestrowier haben mich nur einreisen lassen, weil ich ein offizielles Visum für Moldau habe. Verwirrend.

Die nächste Hürde ist die Registrierung, auszufüllen am Aufenthaltsort auf einem Amt, dass man nur kennt, wenn man schon mal dort war. Und vorher eine Registrierungsgebühr auf einer Bank hinterlegt hat. Natürlich ist es nach fünf Uhr. Die Registratur ist schon geschlossen. Aber immerhin habe ich 24 Stunden Zeit. Andrey treffen, Wiedersehensfreude, Häuslich einrichten, Quatschen, Schlafen, etc.

Der folgende Tag ist ein Samstag, die Registratur hat nur Wochentags offen. Aber es gibt, versteckt in der Uliza Lenina eine weiteres Amt, bestehend aus einem Fenster in einem gewöhnlichen Haus. Es ist kurz vor Neujahr, dutzende Russen-auf-Besuch schreiben handschriftlich Registrierungsansuchen und versuchen damit, von den Beamten hinter diesem Fenster eine temporäre Registrierung bis Montag zu erhalten um dann nach dem Wochenende eine korrekte Registrierung durchzuführen. Anstatt uns anzustellen gehen wir essen. Am frühen Abend, die 24 Stunden sind fast abgelaufen, schauen wir wieder vorbei. Es stehen noch mehr Menschen in der Kälte. Nach wenigen Minuten tritt ein Mann aus einer Tür und verkündet, dass die Regierungsstelle verlautbart hat, jene Ausländer, die nur bis zum 10.1. blieben, können dies ohne Registrierung tun, während jene, die länger blieben, weiterhin den Registrierungsprozess durchzuführen hätten. Der Mann wurde von jenen, die nachträglich umsonst gewartet hatten, beinahe gelyncht.