Die Entwestlichung des Geruchs

1215_08+Man möge sich natürlich von allzu grober Verallgemeinerung schützen. Dennoch möchte ich behaupten, dass Länder, Orte, Gemeinschaften, Wohnungen, Menschen eigene Gerüche haben. Das Österreich anders riecht als Nepal. Das mag an vielfältigen Faktoren liegen. Klima, Industrialisierungsgrad, öffentliche Hygiene. Dann im Kleinen die Kochgewohnheiten, Zugang zu warmen Wasser und Waschmittel.
Ich bin nun ein Mensch mit ausgeprägtem Geruchssinn. Es ist nach meiner Erläuterung nichts ungewöhnliches, dass Tiraspol anders riecht als Wien. Vor allem kräftiger. Die Erkenntnis des heutigen Morgens liegt darin, dass über die Tage und Wochen mein Geruchssinn russifiziert wird. Aber von Anfang an: Fahrt nach Tiraspol. Und Tiraspol könnte auch Bukarest oder Sofia heißen. Viele alte Autos blasen schlecht verarbeitetes Benzin aus und legen einen dumpfen Bleigeschmack als Smog ab. Die Industrieanlagen am Stadtrand sind ebenso ungefiltert wie viele Zigaretten. Von letzteren schmecken die teureren nach Westtabak, die billigen riechen süßlich abgestanden wie fauliger Wein. Von der viel zu Nahe gelegenen offenen Müllkippe stinkt der ungetrennte Müll der Stadt entgegen. Vor den Hausanlagen türmt sich, vor allem zur Weihnachtszeit, der Abfall links und rechts von den großen, offenen Containern. Bester Ort, um Katzen zu sehen.
In manchen Hausanlagen ist ein Abfallsystem integriert. Bewohner öffnet Wohnungstür, tritt auf den Gang, öffnet die Luke einer Röhre, die vom obersten Stock in den Keller führt und wirft den Müll einfach hinein. Ich hab mir noch nie angesehen, wo der dann hinkommt. Vielleicht einfach so in den Keller?
Die Transnistrier kochen gern kräftig. Mit billigem Fett in alten Pfannen. Vor allem im Winter wird eher ungern gelüftet. Schließlich lässt sich in vielen Haushalten die Heizung nicht regulieren. Offenes Fenster heißt ganz einfach ein unwiderbringlicher Verlust an Wärme. Ähnliches trifft auf die persönliche Hygiene zu. Andrey ist beispielsweise dank der Jobs mit den vielen Westlern schon zum kleinen Kapitalisten aufgestiegen. Er hat Jalousien gekauft, die ein wenig Wärme speichern. Er hat die Wasserleitungen sanieren lassen, sodass es jetzt fließendes warmes Wasser gibt und selbiges nicht mehr stinkt wie Pest. Und als Krönung und zur Freude seiner Freundin hat er auch noch eine Waschmaschine gekauft. Er selbst kann sie zwar nicht bedienen, aber Jana kann es. Vielen Menschen fehlt dieser Luxus. Da wird gespart. Da wird nicht täglich geduscht, da wird die Unterwäsche nicht täglich gewechselt und die Hose auch nicht nach vier Tagen. Andrey beispielsweise läuft seit unserer Ankunft vor 15 Tagen mit dem von uns geschenkten Austria-T-Shirt herum. Mensch riecht.
Jetzt könnte man meinen, das sei doch bei uns vor 30 oder 40 Jahren genauso gewesen. Und man hätte sicher recht damit. Transnistrischer Geruch sagt auch weniger über Transnistrien aus, als darüber, wie steril die Umwelt bei uns zu Hause geworden ist.
So ist der Höhepunkt die Fahrt mit dem Bus, einer alten Benzindreckschleuder, eingepfercht mit jenen Menschen, die mangels Möglichkeit mit Wochenschweiss, Monatskleidung, Zigarettendampf, Zwiebel-, Knoblauch-, Fischgeruch und intensiven Alkoholausdünstungen auf die westlich geprägte Nase treffen.
Doch ich schreibe das eigentlich nur aus der Erinnerung. Schließlich gewöhnt man sich ja an alles. Schlimmer noch, man passt sich an. Als ich mich gestern unter die Dusche gestellt habe, viel mir auf, dass ich stärker rieche, als in Wien. Alkohol, Fett, oftmals getragene Kleidung, Umgebungsgeruch. Mein Körper nimmt auf und gibt ab. Sollte ich also auf dem besten Weg sein, Transnistrier zu werden?

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